31.08.2022

Zwei Klassen beim Hinzuverdienst: Misstrauen gegen Erwerbsgeminderte?

Nach einem Beitrag der F.A.Z. will die Ampel-Regierung Hinzuverdienstgrenzen für erwerbstätige Altersrentner gänzlich freigeben. Erwerbsgeminderte müssen Abzüge hinnehmen, wenn sie mehr als 41 % des Durchschnitts dazuverdienen.

Seit drei Jahren können Rentnerinnen und Rentner im Vorruhestand deutlich mehr dazuverdienen, ohne dass ihre Rente gekürzt wird.

Im Rahmen der Corona-Maßnahmen wurde die Hinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro auf derzeit 46.060 Euro im Jahr erhöht. Bereits im Koalitionsvertrag hatte die Ampel-Regierung vereinbart, diese Verbesserung unabhängig vom Fortbestehen der Pandemie zu entfristen.

Nach einem aktuellen Beitrag der F.A.Z. soll nun stattdessen die Hinzuverdienstgrenze gänzlich freigegeben werden, so wie es schon längst für Rentnerinnen und Rentner der Fall ist, die die Regelaltersgrenze (derzeit 65 Jahre und 10 Monate für den Geburtsjahrgang 1956) überschritten haben.

Wenn die Hinzuverdienstgrenze nun nicht nur entfristet, sondern ganz aufgehoben wird, ist dies vor allem eine Verbesserung für Gutverdienende.

Und: Mit dieser Liberalisierung würde die Regierung eine gedankliche Wende vollziehen, die Experten – darunter der Bundesverband der Rentenberater und die frühere „Rentenkommission“ – längst vorgeschlagen hatten.

Bisher galt: Wer mehr als geringfügig verdient, bekommt Abzüge bei der Rente, um nicht zum Vorruhestand als Mitnahmeeffekt „verführt“ zu werden.

„Angesichts des steigenden Fachkräftemangels ist es gut und richtig, dass diese ‚Missbrauchs-Unterstellung‘ nun Vergangenheit ist und Anreize für Ältere gesetzt werden, ggf. neben dem Rentenbezug weiterzuarbeiten“, sagt Thomas Neumann, Präsident des Bundesverbands der Rentenberater e.V.

Obsolet wird dann auch der sogenannte „Hinzuverdienstdeckel“ der – trotz Warnung der Rentenberaterinnen und Rentenberater – mit dem Flexirentengesetz 2016 eingeführt wurde. Dieser überschritt auch nach Ansicht des Präsidenten des Bundessozialgerichts, Prof. Dr. Rainer Schlegel, „die Grenze zur Unverständlichkeit“.

Wenn aber Erwerbsgeminderte im Rahmen ihres Restleistungsvermögens weiterarbeiten, werden dieser Personengruppe stärkere Daumenschrauben beim erzielbaren Einkommen angelegt. „Das ist unverständlich und inkonsequent“ betont Neumann.

Wer volle Erwerbsminderungsrente bezieht, soll nämlich künftig maximal nur 3/8-tel von 14/12-teln der Bezugsgröße dazu verdienen dürfen. Das sind derzeit rund 1.439 Euro im Monat bzw. etwa 41 % des Durchschnittsverdienstes bei einer unterstellten Gehaltssteigerung von 3 % pro Jahr.

Die Tücke steckt hier im Detail: Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente hat medizinisch, wer weniger als 3 Stunden pro Tag arbeiten kann. Gutverdienende, die das Schicksal der Erwerbsminderung trifft, können ihr mögliches Restleistungsvermögen von bis zu 3 Stunden pro Tag nicht mehr ausschöpfen, ohne dass die Rente gekürzt wird. Und das, obwohl die Summe aus Erwerbsminderungsrente und verbleibendem Gehalt ohnehin schon spürbar niedriger ausfällt als vor dem Rentenbezug.

Beispiel: Ein 48-jähriger Erwerbsminderungsrentner, der vor seinem Renteneintritt mit 6.970 Euro brutto rund das Doppelte des monatlichen Durchschnittseinkommens verdient hat, erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminderung im Umfang von bspw. 1.900 Euro. Denn die Rentenhöhe ist vom gesamten Versicherungsleben abhängig, nicht vom zuletzt erzielten Einkommen.

Arbeitet der Protagonist mit der Erwerbsminderung 2 Stunden pro Tag (10 Stunden pro Woche), würde er monatlich 1.787 Euro zur Rente hinzuverdienen. Obwohl sich das Einkommen trotz Weiterbeschäftigung im möglichen Umfang schon um fast die Hälfte reduziert (in Summe 3.687 statt 6.970 Euro), würde die in den 3.687 Euro enthaltende Erwerbsminderungsrente noch zusätzlich um 139 Euro gekürzt werden.

Bei Altersrentnern wird also akzeptiert, wenn sie in Kombination aus Arbeit und anrechnungsfreier Rente mehr im Geldbeutel haben als vor dem Rentenbeginn.

Wenn aber Erwerbsgeminderte im Rahmen ihres Restleistungsvermögens weiterarbeiten, wird das in bestimmten Fällen selbst dann durch eine Rentenkürzung sanktioniert, wenn in Kombination erheblich weniger als zuvor verdient wird.

„Hier sollte der Gesetzgeber noch nachbessern“, so Neumann. „Denn auch für Bezieher einer Erwerbsminderungsrente, die im Regelfall nur befristet gewährt wird, kann es sinnvoll sein, im gesundheitlich vertretbaren Rahmen noch im Job zu bleiben.“

Am 15. und 16. September finden in Trier die Rentenberatertage 2022 statt. Interessierte Journalisten können sich jetzt in unserer Geschäftsstelle anmelden unter: info@rentenberater.de

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